Dritter Jubiläumsbeitrag von Felix Erbacher erschienen in der Basler Zeitung vom 12. März 2018.

Banken im Sog der Digitalisierung

Die Digitalisierung verändert die Bankenwelt dramatisch. Das Angebot der Banken bleibt im Kern mehr oder weniger dasselbe, aber es wird anders produziert, verpackt und verkauft. Die Kunden fragen weiterhin nach Krediten, Anlageprodukten, Serviceleistungen, Währungen und sonstiger Beratung, aber sie wollen diese schneller, direkter und individueller abrufen oder konsumieren, wie sie das in anderen Branchen zum Teil bereits gewohnt sind. Das Onlinebanking kennen wir seit einiger Zeit, es wächst stetig. Wir zahlen Rechnungen per E-Banking oder wir tätigen Börsengeschäfte ohne Anlageberater. Uns vertraute Filialen verschwinden oder es wird ihnen eine neue Innenarchitektur übergezogen. Der lieb gewonnene Bankschalter stirbt langsam aus, vielmehr besetzen Geldautomaten und Beratungsdesks den Eingangsbereich der Bank.

Der digitalisierte Zahlungsverkehr ist am weitesten fortgeschritten, namentlich bei der jüngeren Generation. Europa wickelt die Hälfte aller Transaktionen nicht mehr mittels Bargeld ab. Das Wachstum der digitalen Zahlungen überschritt 2015 weltweit zum ersten Mal zehn Prozent und erreichte 2015 stolze 426,3 Milliarden Transaktionen, 100 Milliarden mehr als 2012. Die Möglichkeiten sind längst nicht ausgeschöpft, sowohl quantitativ als auch qualitativ.

In welche Richtung schreitet die Entwicklung voran? Wie gestaltet sich das Bankgeschäft in fünf, zehn oder 20 Jahren? Welche Funktionen und Kompetenzen wird der Bankangestellte dannzumal ausüben? Dazu gibt es dicke Studien, siehe Quellen. Die liefern zwar keine schlüssigen Antworten, dafür alternative Szenarien mit handfesten Trends.

Neue Branchen
Zwei Begriffe geistern durch die Bankenlandschaft und pflügen sie langsam um: Fintech und Regtech. Fintech ist ein Sammelbegriff für technologische Finanzinnovationen, das können Finanzinstrumente oder -dienstleistungen sein. Fintech ist eine neue Branche, deren Unternehmen digitale und technologische Finanzneuigkeiten anbieten. Lösungen für den Versicherungsbereich werden als InsurTech bezeichnet, Lösungen für den Bereich der Vermögensverwaltung als WealthTech und solche für den Bereich des Zahlungsverkehrs als PayTech.

Fintech beschleunigt einmal die zentrale Datenspeicherung. Dabei stehen die in die sogenannten Clouds verlagerten Aktivitäten im Vordergrund. Fintech stellt diese Clouds bereit und übernimmt Teile der Wertschöpfungsketten der Banken und der Versicherungen. Damit konkurrenzieren sich diese gleichzeitig, aber es wird sich daraus eine gegenseitige Abhängigkeit und Kooperation herausschälen. Man muss auch realistisch sein. «In Zukunft wird die ganze Software an zentralen und nicht mehr firmeneigenen Standorten verwaltet, gewartet und entwickelt», mutmasst Herbert Scheidt, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung. Damit lasse sich die Idee einer Superbank, einer stärkeren Zusammenarbeit der Banken, deutlich günstiger realisieren.

Regtech steht für Innovationen und moderne Technologien im Umfeld der Regulierung, insbesondere bei den Banken- und den Finanzmärkten. Regtech-Firmen suchen nach Massnahmen und Technologien, welche die Compliance und das Risikomanagement unterstützen sowie Prozesse optimieren. Schon heute werden Kundeneröffnungsprozesse für Private und Unternehmen («digitales Onboarding») vollständig automatisiert. Dies senkt die Kosten und ermöglicht, dass Banken die zunehmende Komplexität der regulatorischen Prozesse besser bewältigen können. Wenn regulatorische Vorgaben automatisiert werden, entlastet dies obendrein die Kundenberater und die Compliance-Mitarbeitenden. Regtechist nicht zuletzt ein Produkt des Fintech-Bereichs, steckt in der Schweiz aber noch in den Anfängen, muss sich noch entwickeln und etablieren.

Die Banken mausern sich zu eigentlichen Technologieunternehmen. Damit verbunden sind die erwähnten heiklen Themen Compliance und Cyber Security. Sie rufen Besorgnisse hervor und führen zu heftigen Diskussionen. Zu welchen Resultaten technologisch die künstliche Intelligenz und die Blockchain führen werden, können wir nur erahnen. Die Blockchain wird mit grosser Wahrscheinlichkeit die Verwaltung der Daten und die Transaktionsprozesse erleichtern. Das Thema «Big Data» dringt immer tiefer in das Bewusstsein der Finanzinstitute ein. Der Chief Data Officer avanciert zur Schlüsselfigur in den Führungsgremien.

Eine ganz besondere Herausforderung bedeutet die Cyber Security. Wenn es der Schweiz gelingt, in diesem Sektor einen Schwerpunkt zu setzen, dann kommt zu den traditionellen Standortvorteilen wie politische, regulatorische und wirtschaftliche Stabilität ein weiterer hinzu, der die Wettbewerbsfähigkeit der Banken stützen würde.

Schrumpfprozess?
Der schweizerische Finanzplatz wird sich also einschneidend verändern. Uneinig sind sich die Fachleute allerdings darüber, ob er schrumpfen wird. Philipp Hildebrand, der frühere Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), glaubt dies nicht. Er verweist auf das schweizerische Bankgeheimnis, dessen Aufweichung auch keinen drastischen Rückgang zur Folge gehabt habe. Ob er hier nicht politische Birnen mit technologischen Äpfeln vergleicht?

Immerhin ist seit 2000 ein Fünftel aller Schweizer Bankfilialen verschwunden. In 348 Gemeinden findet sich keine Filiale mehr. Dies hat die Handelszeitung für die Jahre 2001 bis 2017 ermittelt. Ökonomen sehen die Entwicklung unproblematisch. «Das Filialsterben ist Ausdruck des technischen Fortschritts», urteilt Christoph A. Schaltegger, Professor an der Universität Luzern, «und des funktionierenden Wettbewerbs.» Banken könnten heute nicht mehr mit Standarddiensten punkten. «Das dichte Filialnetz hat nicht mehr denselben Nutzen für den Kunden wie früher.»

Man darf aber davon ausgehen, dass die Kunden auch in Zukunft die Nähe zu ihrer Bank suchen. Sie schätzen die zwischenmenschlichen Beziehungen und suchen Sicherheit.

Von der vollständigen Elektronisierung des Bankengeschäfts sind wir noch ein Stück weit entfernt. Aber der Prozess scheitet voran. Die Credit Suisse strebt als langfristiges Ziel das papierlose Büro an. In einem ersten Schritt sollen rund 200 Arbeitsprozesse von Anfang bis zum Ende digitalisiert werden, von der Kontaktaufnahme des Kunden über die Beratungsdienstleistung bis zur Verarbeitung im Backoffice. Damit verschwindet viel Handarbeit. Ende dieses Jahres soll die Zwischenetappe beendet sein.

Obwohl die Banken für die Digitalisierung besonders geeignet sind, weil ihr Geschäft fast gänzlich auf Zahlen basiert, müssen sie noch viele harte Nüsse knacken, weil Dienstleistungen äusserst komplex sein können. Das Handy-Banking hat sich noch nicht durchgesetzt, die E-Hypothek ist erst im Kommen. Die Digitalisierung der Banken wird wahrscheinlich alle Bereiche der Branche erfassen. Wir stehen vor einer spannenden Branchenzukunft.

Nase vorn
Wer bei der Digitalisierung die Nase vorn hat, der besteht den Konkurrenzkampf im internationalen Bankgeschäft. Das schweizerische Erfolgsrezept der Vergangenheit ist das Erfolgsrezept der Zukunft. Fokussierung, Innovation, globale Ausrichtung, gute Rahmenbedingungen. Und ganz wichtig: hervorragende Mitarbeitende. Sie müssen permanent auf dem neusten technologischen Stand geschult werden. Die Digitalisierung der Finanzbranche verändert das Anforderungsprofil der Bankangestellten massiv. Davon wird im nächsten Beitrag die Rede sein.

Quellen: Krisenfeste Schweizer Banken, Die Regulierung von Eigenmitteln, Liquidität und «Too big to fail», NZZ Libro 2018, 763 Seiten; Zukunft Bankfachspezialisten 2030, ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, 2017, 142 Seiten