Achter Jubiläumsbeitrag von Felix Erbacher erschienen in der Basler Zeitung vom 6. August 2018

Trotz Unkenrufen kein Desaster

Vom Bankkundengeheimnis zum automatischen Informationsaustausch

Basel/Zürich. Während einer Dekade bestückten die Medien ihre Politik- und Wirtschaftsteile vornehmlich mit Finanzthemen. Der langsame Tod des Bankkundengeheimnisses führte zu emotional und heftig geführten Debatten. Die Schweiz fühlte sich anfangs stark genug, an ihrer Besonderheit im Bankensektor festzuhalten und allen Angriffen jenseits der Landesgrenzen trotzen zu können. «An diesem Bankkundengeheimnis werdet ihr euch die Zähne ausbeissen», sagte unser Finanzminister Hans-Rudolf Merz im Parlament und meinte damit die OECD, die EU und die G20. Provokativ antwortete sein deutscher Ministerkollege Peer Steinbrück: «Die Kavallerie muss man nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt. Und wenn das allein schon Nervosität hervorruft, kommt richtig Zug in den Kamin.» Bis auf den heutigen Tag sind das die meistzitierten Worte eines Wirtschaftspolitikers der letzten zehn Jahre.

Wir wissen inzwischen, wer recht bekommen hat. Es ist der frühere deutsche Minister. Der 14. November 2014 ist historisch in der schweizerischen Wirtschaftsgeschichte: An diesem Tag hat die Schweiz ein teilweise unmittelbar anwendbares, multilaterales Modellabkommen zum automatischen Informationsaustausch (AIA) unterzeichnet. Das bedeutete den Tod des fiskalischen Bankkundengeheimnisses auf internationaler Ebene.

Ursprung in der Finanzkrise

Die langsame Auflösung des Bankkundengeheimnisses zeichnete sich schon nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2009 ab. Die Zeiten waren für die Industriestaaten nicht mehr üppig. Die Verschuldung der Staaten und damit der Einnahmehunger der Finanzminister nahmen rasant zu. Die Schweiz wurde eine Option für Mittelbeschaffung. Sie geriet zunehmend unter Druck, mehr Steuertransparenz zu schaffen. «Es war dann der im Jahr 2008 eskalierende Steuerstreit zwischen den USA und der UBS, der schliesslich dazu geführt hat, dass die Schweiz auch von der lange gepflegten Tradition der Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung Abstand nehmen musste und mit dieser ‹Sonder-Amtshilfepolitik› gegenüber den USA das Terrain für die vorbehaltlose generelle Durchsetzung auch des OECD-Standards gegenüber der Schweiz geebnet hat», stellt Christoph B. Bühler in seinem Buch «Vom Bankgeheimnis zum automatischen Informationsaustausch» fest.

Die Bekämpfung der Steuerparadiese und der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung rückte auf den Traktandenlisten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und den G20-Staaten (Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) nach oben. Der Schweiz drohte, auf eine «schwarze Liste» mit Ländern gesetzt zu werden, die besonders schädliche Steuerpraktiken verfolgen. Die Schweiz reagierte und erklärte im März 2009, dass sie nicht nur bei Steuerbetrugsdelikten, sondern auch bei Steuerhinterziehung nach schweizerischen Recht Amtshilfe leisten werde.

Zwei Jahre später kam der Bundesrat den Staaten ein weiteres Stück entgegen und beschloss, dass fortan die Angaben von Name und Adresse der steuerpflichtigen Person und des Informationsinhabers für die Behandlung von Amtshilfeersuchen nicht mehr erforderlich seien. Gemäss einer Regelung der OECD liess der Bundesrat Gruppenanfragen zu. Bislang leistete die Schweiz Amtshilfe nur im konkreten Einzelfall.

Die Schweiz war aber noch nicht aus dem Schneider. Jetzt begannen die Debatten über einen weltweiten automatischen Informationsaustausch. Die Schweiz glaubte, zu dessen Verhinderung eine solide Hintertür gefunden zu haben: die Abgeltungssteuer. Das Prinzip: Mit einem Quellensteuerabkommen soll der Kunde zwischen der Offenlegung und der anonymen Abgeltungssteuer unter Wahrung der finanziellen Privatsphäre wählen können. Mit Deutschland starteten die Verhandlungen. Der Handel kam nicht zustande; das Abkommen wurde Ende 2012 nicht ratifiziert.

Kein Befreiungsschlag

Der Leidensweg verlängerte sich mit dem hierzulande besonders verhassten Fatca(Foreign Account Tax Compliance Act)-Abkommen mit den USA um eine weitere Etappe. Alle ausländischen Finanzintermediäre (Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage) waren jetzt verpflichtet, Informationen von amerikanischen Privatpersonen mit Vermögen ausserhalb der USA zu beschaffen. Das kam einer Erpressung gleich: Liefert eine Schweizer Bank keine diesbezüglichen Informationen, wird sie vom amerikanischen Kapitalmarkt ausgeschlossen.

Die Schweiz unterzeichnete darauf 2013 das Amtshilfeabkommen mit der OECD und dem Europarat. Damit intensivierte sich der AIA mit dem Ausland. Er umfasst «die systematische und periodische Übermittlung von massenhaften und standardisierten Datensätzen im Hinblick auf Steuerpflichtige mit Vermögenswerten beziehungsweise Einkünften in einem Staat an einen anderen Staat, den Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen, ohne dass es hierfür eines Ersuchens bedürfte». Die OECD verabschiedete im Juli 2014 einen entsprechenden Standard. Das hiess konkret, dass Banken Finanzinformationen über im Ausland steuerpflichtige Kunden sammeln und diese jährlich über eine lokale Behörde dem Steueramt des Wohnsitzstaates des Kunden melden müssen. Dabei handelt es sich um Kontobestände und sämtliche Kapitaleinkünfte wie zum Beispiel Zinsen oder Dividenden.

Nach der Unterzeichnung des Abkommens zum AIA mit der OECD im November 2014 mussten für die Inkraftsetzung die rechtliche Basis und die Gesetze geschaffen werden. Die Eidgenössischen Räte nahmen im Dezember 2015 das AIA-Gesetz an. Es trat per 1. Januar 2017 in Kraft. Das steuerliche Bankkundengeheimnis auf internationaler Ebene gehört seither der Vergangenheit an.

Nicht aber in der Schweiz. Die diesbezüglichen Diskussionen werden noch auf kleiner Flamme gehalten. Dies ändert sich langsam. Bald kommt es zur Abstimmung über die Initiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» des Bankiers Thomas Matter. Er will das steuerliche Bankgeheimnis in der schweizerischen Verfassung verankert sehen.

Für die Schweizer Banken hat sich während der letzten zehn Jahre viel verändert. Sie haben Risiken abgebaut und konzentrieren sich auf das, worauf sie schon immer besonders erfolgreich waren: auf die Vermögensverwaltung, und sie haben sich weitgehend aus dem Investment Banking zurückgezogen. Die Institute haben ihr Eigenkapital gestärkt und sind damit krisensicherer geworden. Im Zuge der Vereinbarungen mit den USA und hierzulande wegen der Regulierung und den Kapitalvorschriften der Finanzmarktaufsicht Finma ist der administrative Aufwand massiv gestiegen.

Zahl der Banken nimmt ab

All dies führte zu zahlreichen Reorganisationen: Die Zahl der Banken verminderte sich innerhalb von zehn Jahren von 330 auf 253 im Jahr 2017, die Zahl der Bankangestellten von 136 000 auf 110 000. Banken haben sich zusammengeschlossen, sich an einen Partner angelehnt oder sind in einer anderen Bank aufgegangen. Die Gewinne übertrafen mit 9,8 Milliarden Franken sogar wieder leicht den Wert von 2007 (9,7 Milliarden Franken).

Die Branche ist mit einem blauen Auge davongekommen. Wie warnte doch der Genfer Bankier Ivan Pictet 2009: «Ohne Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug könnte der Finanzplatz auf fast die Hälfte reduziert werden.» Dieses Desaster ist nicht eingetreten. Laut Statistiken verwaltet die Schweiz rund 3200 Milliarden Franken an ausländischen Vermögen, 100 Milliarden Franken mehr als 2007.

Der Beitrag des Finanzsektors zum Wohlstand der Schweiz ist kleiner geworden. Der Anteil der Wertschöpfung an der Gesamtwirtschaft hat sich von 13 auf 9 Prozent vermindert.

Was sagt uns das? Die Schweizer Banken haben vom Bankkundengeheimnis profitiert, aber es war nicht matchentscheidend für ihren Erfolg. Sie profitieren nach wie vor von den Standortvorteilen: politische und monetäre Stabilität, Neutralität sowie Rechtssicherheit. Sie haben wenig von ihrem guten Image eingebüsst und sich dank ihrer Professionalität das Vertrauen ihrer Kunden sichern können.