Neunter Jubiläumsbeitrag von Felix Erbacher erschienen in der Basler Zeitung vom 24. September 2018: Das kurze Glück der Bankräuber

Riesige Summen wurden spektakulär erbeutet, die Täter aber praktisch immer gefasst

Von Felix Erbacher

Basel. Die Geschichte der Banküberfälle ist über 200 Jahre alt. Der erste ereignete sich wahrscheinlich in den USA. Am Morgen des 1. Septembers 1798 fehlten in einem Tresor der Bank of Pennsylvania in Philadelphia 162 821 Dollar. Das war damals eine beträchtliche Summe. Die Polizei fasste den Schuldigen Isaac Davis, der wenige Tage nach der Tat einer Gelbfieberepidemie zum Opfer fiel.

Wer kennt nicht die zahlreichen Geschichten über das Gangsterpaar Bonnie und Clyde. Die beiden verunsicherten während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er- und im Verlauf der 1930er-Jahre den Südwesten der USA, raubten Banken aus und verursachten bei ihren Überfällen ein Chaos. Lange dauerte es, bis sie gefasst wurden. 1934 tappten sie in eine Falle. Die Fahnder feuerten aus automatischen Waffen, Schrotflinten und Pistolen 167 Kugeln auf ihren Ford. Das Gangsterpaar wurde je von 100 Kugeln durchsiebt. Bonnie wurde 24, Clyde 25 Jahre alt.

Wilde Verfolgungsjagd

Zu Berühmtheit gelangten auch zwei Deutsche, die in Basel im gleichen Jahr, als Bonnie und Clyde erschossen wurden, die Wever-Bank überfielen. Es gibt noch andere Ähnlichkeiten mit Bonnie und Clyde. Kurt Sandweg und Waldemar Velte agierten ebenso brutal und wurden im selben Jahr geboren wie die Amerikaner.

In der Schalterhalle an der Elisabethenstrasse 42 erschossen sie kaltblütig einen 25-jährigen Buchhalter und einen 42-jährigen Bankbeamten. Ihre magere Beute: 228 Franken Schweizer Silbergeld, 119 Reichsmark und 103 französische Franc plus einige Zeppelintaler. Auch sie benützten einen Ford als Fluchtfahrzeug.

Die Polizei reagierte mit einer rigorosen Suche und griff die beiden in einer Pension auf. Während der Kontrolle erschossen die Räuber zwei Polizisten schonungslos. Ein Passant verlor sein Leben, als er sich furchtlos auf die Verfolgung machte. Wieder entkamen die Banditen.

Nun begann eine Grossfahndung mit über 400 Polizisten. Als die Räuber in der Gegend von Röschenz erneut aufgegriffen wurden, mussten erneut ein Detektiv und ein junger Helfer ihr Leben lassen. Die Täter entkamen wieder, kehrten nach Basel zurück und versteckten sich im St. Margarethenpark. Dort telefonierten sie einer Bekannten und baten um Proviant. Diese kontaktierte die Polizei und verriet die beiden. Dies erkannten die eingekesselten Sandweg und Velte und beschlossen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Sie schossen sich gegenseitig in den Kopf.

Pensionierter für die Lok

Die Geschichte der Geldräuber ist eine illustre. Den älteren Jahrgängen in Erinnerung ist bestimmt «The Great Train Robbery» vom 8. August 1963. Das war zweifellos der Jahrhundertraub. Das Objekt der Begierde war der Postzug der britischen Royal Mail. Das Verbrechen ereignete sich bei Ledburn in der Grafschaft Buckinghamshire in England. An einer einsamen Stelle wurde der Zug durch zwei manipulierte Signale zum Stehen gebracht. Den Lokführer schlug die Bande mit einer Eisenstange nieder.

Weil der angeheuerte pensionierte Lokomotivführer aber mit der neuartigen Diesellok nicht vertraut war, rüttelten sie den bewusstlosen Lokführer wieder wach und zwangen ihn, die abgekoppelte Lok mit dem Postwagen 1200 Meter weiter zu einer Brücke zu fahren. Dort luden sie die Geldsäcke aus und verfrachteten sie in die unter der Brücke bereitstehenden Fluchtfahrzeuge. Die Beute: 2,6 Millionen Pfund, nach heutigem Wert etwa 49 Millionen Pfund oder 55 Millionen Euro. «Lausige» 330 000 Pfund konnten wiedergefunden werden.

Die vielköpfige Bande ging der Polizei ins Netz. Drei Personen, darunter der pensionierte Lokführer, blieben jedoch lange spurlos verschwunden.

Einer der Täter, Ronald Biggs, erlangte legendäre Berühmtheit. Nach einer ersten Verhaftung flüchtete er 1965 über Frankreich nach Australien und später nach Brasilien. Nachdem er sich jahrzehntelang der erneuten Verhaftung entziehen konnte, kehrte er 2001 aus gesundheitlichen Gründen nach England zurück, um den Rest seiner 30-jährigen Gefängnisstrafe anzutreten. 2009 wurde Biggs aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes begnadigt und aus der Haft entlassen. Er starb 2013 im Alter von 84 Jahren. Den Medien lieferte Biggs über Jahrzehnte regelmässigen Lesestoff.

Spielzeugpistolen in Zürich

Ein Jahrhundertraub ereignete sich freilich auch in Zürich. Am 1. September 1997 überfielen acht Männer, mit Spielzeugpistolen bewaffnet, die Fraumünsterpost. Sie verkleideten sich als Telecom-Mitarbeiter und fuhren in einem Lieferwagen zum Tatort. Dort kamen sie in nur vier Minuten zu mehreren Kisten mit 53 Millionen Franken Inhalt. Es hätte noch mehr sein können, aber für weitere 17 Millionen Franken hatten sie keinen Platz. Einen spektakuläreren Raub in der Schweizer Kriminalgeschichte gibt es nicht.

Eine Riesenbeute machten jene Räuber, die im Mai vor einem Jahr nach einem Überfall auf einen Geldtransport auf der A1 bei Nyon mit über 40 Millionen Franken flüchteten, bald aber in Frankreich verhaftet wurden. Sieben Täter zwangen den Lieferwagenfahrer, ihnen bis nach Divonne-les-Bains im benachbarten französischen Departement Ain zu folgen. Dort öffneten sie den Transporter mithilfe von Sprengsätzen, liessen die Fahrer frei und setzten den Wagen in Brand.

In den USA war es Bonnie Parker, die Frauen-Bankraubgeschichte schrieb, in Deutschland Gisela Werler. Am 29. Juli 1965 überfiel sie alleine die Filiale Elbgaustrasse der Hamburger Volksbank und erbeutete 3100 Mark. Sie machte sich einen Namen als «Banklady». Mit ihrem späteren Mann, Hermann Wittorff, verübte sie 19 Banküberfälle.

So verurteilungswürdig die aufsehenerregendsten Banküberfälle auch sind, wegen der technischen Einfälle, der Kaltblütigkeit und Kühnheit der Täter zeigen wir uns immer wieder beeindruckt. Fast bewundern wir zuweilen den einen oder anderen Raub – umso mehr, als die vom Überfall betroffenen Menschen an Leib meist keinen Schaden nahmen. Aber deren Seelen: Angestellte und Kunden erlitten häufig starke Traumata, gegen deren Folgen sie lange über den Zeitpunkt des Überfalls hinaus kämpfen mussten.

Der Spruch «Unrecht gedeiht nicht» hat sich in der langen Bankraubgeschichte stets von Neuem bewahrheitet. Fast alle Täter kamen früher oder später hinter Gitter.

Auch in der Region

Es gibt sie immer noch, die Banküberfälle, auch in der Schweiz. Die Geschichten sind nicht spektakulär, eher traurig. Der letzte in der Region ereignete sich am 8. August 2018 auf eine Filiale der Basler Kantonalbank (BKB) in Riehen. Am gleichen Tag konnte die Polizei während einer Grossfahndung den geflüchteten mutmasslichen Täter festnehmen. In diesem Jahr (Stichtag: Ende Juli) sind bereits 13 Raubüberfälle registriert worden. Alle Täter befinden sich im Gefängnis. Die Aufklärungsquote beträgt mittlerweile praktisch 100 Prozent.

Ein Bankräuber befindet sich allerdings noch auf freiem Fuss. Er überfiel vor vier Jahren in Birsfelden an der Hauptstrasse im Feierabendverkehr und hinter voll besetzter Tramhaltestelle dreist die Filiale der UBS. Viel hat er nicht ergaunert. Wie viel, will Dominique Widmer, der Sicherheitschef der Bank, nicht sagen. Immerhin: Die Beträge, die in den letzten Jahren gestohlen worden sind, lägen im Durchschnitt bei 10 000 Franken. Der Birsfelder Räuber ist der einzige der letzten Jahre, der nicht gefasst werden konnte.

Dominique Widmer sagt, dass 80 Prozent der Täter Amateure und Einzeltäter seien. Meistens handelten sie aus Verzweiflung, aus einem finanziellen Notstand heraus. Jeder Siebte will sich Mittel für die Beschaffung von Drogen besorgen. Nur fünf Prozent der Delikte fallen auf organisierte Banden zurück.

Die Zahl der Raubüberfälle schwankt stark von Jahr zu Jahr. 1955 waren es 55, drei Jahre später nicht einmal halb so viel. 2004 weniger als 10. Seit 2008 ist wieder ein steigender Trend festzustellen, wobei im vergangenen Jahr sich nur gerade neun Räuber in Szene setzten.

Hoffnung stirbt zuletzt

Die Profis wissen, dass Banken kein lukratives Tätigkeitsfeld mehr sind. Wenn überhaupt, befindet sich wenig Bargeld am Schalter. Die Tresore sind ein gutes Stück vom Schalter entfernt, wodurch die Kundenberater Zeit zum Handeln gewinnen. Die Überwachungskameras weisen eine hervorragende Bildqualität auf. All dies hindert Menschen offensichtlich nicht, ihr «Glück» stets aufs Neue zu suchen – selbst wenn jegliche Wahrscheinlichkeit gegen sie spricht und die potenzielle Beute gering ist.

Samuel Holzach, Regionaldirektor der UBS Basel und Vizepräsident der Basler Bankenvereinigung (BBVg) bestätigt: «Sicherheit wird bei uns grossgeschrieben. Wir haben in den vergangenen Jahren nicht nur viel in Prozesse und Abläufe investiert, um unsere Kunden und Mitarbeitende vor potenziellen physischen, aber auch Cyber-Attacken zu schützen. Auch unsere offenen modernen Geschäftsstellen sorgen für mehr Sicherheit für alle.»