Was habe ich mir schon alles vorgestellt, ja, geträumt davon, wo ich überall wohnen könnte? In einer Berghütte in den Alpen oder in den Rocky Mountains, in einem Fischerdorf auf einer griechischen Insel, in einem Iglu in der Arktis, an der Copacabana, in einer Baumhütte im Urwald. Das wäre wohl eine Zeit lang gut gegangen. Bald hätte mir vieles gefehlt, um weiterhin glücklich funktionieren zu können. Ich hätte meinen Standort wieder wechseln müssen.
Mit dem idealen Standort ist das so eine Sache. Die Standortfrage ist komplex. Die Anforderungen an den Standort sind vielfältig, sowohl kultureller, wirtschaftlicher und geografischer Natur. Für Privatpersonen ist diese Frage einfacher zu lösen. Oft stellt sie sich gar nicht, weil man von Geburt an mit einem Ort fürs Leben verbunden ist. Ein Unternehmen kennt diese Bindung nur bedingt. Oder sie taugt nicht mehr, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen sich verändern.
Beschleunigter Wandel
Am Rheinknie sind Banken seit Jahrhunderten ansässig, Einige haben den Standort aufgegeben, andere haben ihn neu entdeckt. Das Umfeld der Basler Banken aber hat sich im Lauf des letzten Jahrhunderts verändert. Massiv.
Die Verhältnisse und Umstände waren im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Basler Banken perfekt. Sie richteten ihr Angebot auf die Industrialisierung aus. Der Ruf als Kapitalmarkt hätte nicht besser sein können. Der hiesige Finanzplatz war schweizweit der bedeutendste. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen sich andere Finanzplätze ein Stück vom wachsenden Bankenkuchen abzuschneiden. Vorab Zürich und Genf als Städte mit kosmopolitischer Ausstrahlung liefen Basel langsam den Rang ab.
Der Wirtschaftsstandort ist permanent sich verändernden Umweltbedingungen ausgesetzt. Verschiedene Kräfte und Einflüsse wirken positiv und negativ. So erleichterte die Bildung des Deutschen Reiches im 19. Jahrhundert den Handel und erhöhte die Nachfrage nach Bankdienstleistungen. Das verkehrsmässig optimal gelegene Basel konnte davon profitieren. Der Zweite Weltkrieg und die Fusionen sowie Zentralisierungen am Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts machten diese Entwicklung wieder zunichte. Doch bleiben wir in der «neueren» Vergangenheit. Nehmen wir die vergangenen zehn Jahre. Im Nachgang zur Finanzkrise ab 2007 nahm die Regulationsdichte zu.
Die Auflösung des Bankgeheimnisses hat die Schweizer Institute vor gewaltige Herausforderungen gestellt. Die gesetzlichen Auflagen sind inflationär gewachsen; die Kundenstrukturen haben sich verändert. Neue Strategien sind entwickelt worden. Und werden wieder umgeschrieben.
Es gibt freilich Standortfaktoren, die seit Jahrzehnten von herausragender und einzigartiger Bedeutung für den Finanzplatz Basel sind. Dazu gehören Internationalität und Weltoffenheit. In einer Umfrage bei Basler Bankern ist dies der meistgenannte Umstand, auf den sie sich berufen. Guy Lachappelle, Chef der Basler Kantonalbank (BKB), kommt geradezu ins Schwärmen: «Unsere Stadt ist jung, dynamisch, weltoffen und innovativ, aber gleichzeitig bodenständig und sympathisch.»
Auch Samuel Holzach, Regionaldirektor der UBS, bezeichnet die Internationalität als Standortvorteil Nr. eins. Er weist auf die Life Sciences, den EuroAirport, das Dreiländereck und auf die hiesigen internationalen Messen und die reichhaltige Kultur hin. Nochmals Guy Lachappelle: «Weil Basel einen attraktiven Lebensraum mit hoher Lebensqualität bietet, kommt diese über die Kundschaft und Mitarbeitenden auch den Banken auf dem Platz zugute.» Vor allem in der aktuellen Phase der digitalen Transformation seien Dynamik und Innovationsgeist der Stadt hilfreich.
Life Sciences als Motor
Die wirtschaftliche Dynamik verdankt der Raum Basel vorab der Pharmaindustrie und dem Life-Sciences-Sektor. Nicht zu unterschätzen sind äusserst erfolgreiche Klein- und Mittelunternehmen (KMU). Deshalb wächst die Nordwestschweiz deutlich schneller als die übrige Schweiz. Wenn es der hiesigen Wirtschaft gut geht, dann profitieren nicht zuletzt auch die Banken. Darin sind sich alle Basler Banker einig. Zum Beispiel im Bereich der Unternehmensfinanzierung bietet die Life-Sciences-Branche den Basler Finanzinstituten Möglichkeiten, sich noch stärker zu etablieren.
Wenn Basler Banken auch schon gewichtigere Rollen spielten, schöpfen sie doch Selbstvertrauen aus der Geschichte und Tradition. So gesehen hilft die tiefe und langjährige Verwurzelung dem Selbstverständnis. Die 1912 gegründete Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg), der Spitzenverband des Finanzplatzes, und der 1907 gegründete Verband Schweizerischer Kantonalbanken (VSKB) haben ihren Sitz in Basel. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) operiert seit 1930 vom Rheinknie aus und verhilft unserem Bankenplatz zu einem ganz besonderen Renommee.
Was jedoch in der Vergangenheit als Stärke galt, gilt heute nur noch abgeschwächt beziehungsweise stellt sich als Nachteil heraus: die geografische Nähe zu Frankreich und Deutschland. Schuld seien unterschiedliche regulatorische Umfelder sowie die Unfähigkeit und Unwilligkeit der Schweizer Behörden, die Interessen gegenüber dem Ausland geltend zu machen. «In unserem natürlichen Aktivitätsradius, sorgen die in- und ausländischen Regularien dafür, dass wir zwei Drittel der Dreiländerregion nicht mit unseren schweizerischen Vorzügen und qualitativ hochstehenden Dienstleistungen und Produkten versorgen können», sagt Thomas Müller, der CEO der Bank CIC (Schweiz). Für die Basler Kantonalbank zum Beispiel beträgt die Wirkungsfläche gerade mal 37 Quadratkilometer. In einem vergleichbaren Kreis um Zürich gebe es quantitative Einschränkungen des Geschäftspotenzials nicht.
Die unterschiedlichen Regulierungen der drei Länder hemmen das grenzüberschreitende Geschäft im gemeinsamen Wirtschaftsraum. Wenn früher die Basler Banken eine vergleichsweise internationale Ausrichtung gerade wegen der geografischen Lage hatten, so fokussieren sie heute vermehrt auf den attraktiven aber in vielen Bereichen stagnierenden Schweizer Markt.
Die Basler Banken stehen seit der Beschleunigung des allgemeinen Konzentrationsprozesses im Schatten Zürichs. Die Hauptursache liegt – darin sind sich Basler Banken einig – in der Konzentration der Tätigkeiten auf die Bankenplätze Zürich und Genf. So sind denn in den letzten Jahren immer wieder Aktivitäten von Basel nach Zürich abgezogen worden. Gemeinschaftswerke wie die Schweizer Börse oder Aduno befinden sich in diesem Wirtschaftszentrum oder wurden dort zentralisiert. Zudem haben Fusionen und Akquisitionen der letzten Jahrzehnte die Entscheidungszentralen vieler Banken aus Basel verschwinden lassen. Mit den verbliebenen Standortvorteilen scheint der Finanzplatz Basel dennoch ganz gut leben zu können.
Die Rekrutierung von Arbeitskräften sehen Basels Topbanker jedoch unterschiedlich. Trotz der Strahlkraft Zürichs finden die Basler Banken genügend erstklassig ausgebildete Mitarbeitende, sagen die einen. Dafür sorgten die Universität Basel und die Fachhochschule. Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Basel verfügt über Professuren und Forschungsstellen in den Bereichen Finanzmanagement, Geld- und Währungsgeschichte, Corporate Finance, Finanzmärkte, Computational Economics und Finance sowie in der Finanzmarkttheorie. Die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) bietet Masterstudiengänge in Banking Finance und Controlling an. Ausländische Bankfachexperten zöge es zuweilen auch wegen des attraktiven Lohnniveaus nach Basel, das aber im Vergleich zu Zürich und Genf tiefer ist. Beobachtet wird auch, dass nach der Abwanderung von Arbeitsplätzen von Basel nach Zürich vermehrt mit Basel verwurzelte Bankangestellte das tägliche Pendeln aufgeben und wieder eine Stelle zu Hause suchen.
Es gibt auch kritische Statements zur Personalrekrutierung. Der Arbeitsmarkt für Lernende, Spezialisten und Beraterinnen und Berater sei schlecht – aufgrund der Konzentration in Zürich und Genf. Es sei nicht immer leicht, ausgewiesene Spezialisten, insbesondere aus der in der Region untervertretenen Informationstechnologie (IT) aus der Schweiz nach Basel zu holen. Zudem beschneiden nationale Grenzen den Zugang zu einem wichtigen Teil der Nachwuchskräfte. «Wo wir uns als Region und auch bei uns in der BLKB verbessern können und auch müssen, ist der IT-Bereich. Ohne IT läuft heute nichts mehr», bestätigt John Häfelfinger, CEO der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB). Die Bedeutung des Basler Bankenplatzes werde innerhalb der Schweiz zuweilen unterschätzt. Dem Arbeitskräfteangebot fehle die notwendige Breite.
Dringenden Handlungsbedarf orten die hiesigen Banker unisono am gleichen Ort, bei der Überregulierung, die massvoller und differenzierter gestaltet werden sollte. Notabene ein Punkt, der auf Genfer und Zürcher genauso zutrifft. Ein Basler Banker denkt radikal und fordert, das «grenzenlose Wachstum» der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) personell zu beschränken und den Personalbestand auf 200 Vollzeitstellen zu halbieren. Dadurch würde sich ganz natürlich und schnell ein Fokus auf die relevanten Fragestellungen ergeben.
Im internationalen Kontext plädieren Basler Finanzakteure für einheitliche Wettbewerbsbedingungen und gleiche Transparenzvorschriften sowie Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäscherei und Steuerhinterziehung. Erste Schritte zeigten in die richtige Richtung. Erwähnt werden insbesondere die globalen Standards für den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten (AIA), der die grenzüberschreitende Steuerhinterziehung verhindern soll. Nicht zuletzt sollte auch die Gleichwertigkeit der schweizerischen Börsenregulierung durch die EU anerkannt werden.
Kritik an Rahmenbedingungen
Hiesige Bankenverantwortliche beklagen den zunehmenden Verlust des Wettbewerbsvorteils einer ausgezeichneten Verkehrsanbindung. Im Vergleich mit Zürich und Genf entwickeln sich Luft- und Schienenverkehr an Basel vorbei. Auch die Einschränkungen im Individualverkehr werden an gewissen zentralen Standorten kundenorientierte Aktivitäten verschwinden lassen. Schliesslich sind bisher wenige Bemühungen der Politik erkennbar, die den Finanzbereich, der im Vergleich zu den Life Sciences ein Schattendasein führt, durch innovative Ansätze fördern. Dies im Gegensatz zu anderen, aufstrebenden Regionen wie der Innerschweiz oder den Schwergewichten in Zürich und Genf.
Erwähnenswert zum Schluss: Die Steuern sind kein Problem für die Basler Banken. In der Umfrage wurde dieser Faktor nicht erwähnt, obwohl die Basler Steuerbelastung überdurchschnittlich ist und vor allem erfolgreiche Banken belastet.